Grenzsteine im Umland Güstrows

Der 83-jährige frühere Güstrower Bürger und spätere Gesandte des Deutschen Kaisers in Madrid, Lissabon und Bern, Hofrat Rudolf Sprenger, beendete Ende Dezember 1926 in Wabern bei Bern seine Aufzeichnungen von Erinnerungen an seine Vaterstadt Güstrow, die im 1. Halbjahr 1927 in 121 Ausgaben des „Güstrower Anzeiger“ als Fortsetzungen, zunächst unter dem Titel „Aus Güstrows Vergangenheit“, und ab der 48. Folge als „Lebenserinnerungen eines alten Güstrowers“ veröffentlicht wurden. In der 32. und 33. Fortsetzung im „Güstrower Anzeiger“ vom 29. und 30.03.1927 schildert er den tragischen Verlauf einer „Kahnfahrt auf dem Brunnensee“ zu Pfingsten (?) 1856 (?). “Es war Brauch, dass am Pfingstmorgen vor Sonnenaufgang die Dienstmädchen und jungen Leute in die Umgegend der Stadt auszogen um „Maien“, d.h. grüne Birkenzweige und Flaschen mit fließendem Wasser, das noch nicht von der Sonne beschienen war nach Hause zu bringen. Dieses Wasser sollte sich das ganze Jahr frisch erhalten und zu allen möglichen abergläubischen Gebräuchen Verwendung finden, besonders gerne benutzte man es zum Taufen von Kindern. Bessere Dienstboten zogen nachmittags mit Ihren Schätzen auf einen der Vergnügungsplätze, die im Umkreis der Stadt lagen. … Der „Brunnen“ lag an der Schweriner Chaussee, etwa eine halbe Meile von Güstrow. Unterhalb des Wirtschaftsgebäudes dehnte sich ein ziemlich großer See aus, an dessen Ufer zwei alte Fischerkähne lagen. Junge Burschen luden ihre Mädchen zu einer Seefahrt ein. Um die Boote sicherer zu machen, band man sie mit Stangen aneinander und bald waren sie mit jungem Volk besetzt. Die Fahrt begann mit fröhlichem Gesang, der aber bald in herzzerreissendem Geschrei ausklang. Man hatte im Übermute angefangen, die überfüllten Kähne von einer Seite auf die andere zu neigen, um die ängstlichen jungen Mädchen zu necken. Dadurch hatten sich die Verbindungsstangen gelockert und waren zerbrochen, und ein Kahn kippte über und alle Insassen fielen ins Wasser. Um sich zu retten, klammerten sich die Ertrinkenden an den zweiten Kahn, den sie dadurch auch zum Umschlagen brachten. Einige 30 Personen waren von einem Augenblick zum andern in Todesangst versetzt und da die meisten des Schwimmens unkundig waren, ertranken nach verzweifelten Todeskämpfen nicht weniger als 16, meist blühende junge Mädchen. … Erst nach einigen Tagen konnten alle Laichen geborgen und in die Stadt gebracht werden, wo sie feierlich in einem gemeinsamen Grabe bestattet wurden.“ Sprenger selbst erinnerte sich daran, dass er als 13-Jähriger einer der ersten gewesen sei, die diese Nachricht vom Unglücksort nach Güstrow überbracht hätten und eine Bedienstete aus dem elterlichen Haushalt unter den tödlich Verunglückten gewesen sei.

Anmerkung der Autoren:
1. Wilhelm Mastaler benennt als das Datum des Unglücks den 10.06.1855, anlässlich des alljährlichen sommerlichen Brunnenfestes, -Quelle: „Eine Güstrower Stadtkunde“ Schriftenreihe des Archivs der Stadt Güstrow Nr.1, Herausgeber Stadt Güstrow 1996-)

2. Angelika Schmiegelow Powell erwähnt in ihrem Buch „Güstrow im 20. Jahrhundert“ einen Brieftext des Schumachermeisters Hassebring, der damals an seinen Sohn schrieb, dass am 2. Sonntag nach Pfingsten bei einer Vergnügungsfahrt im Jahre 1855 das Unglück geschehen sei.)

Diese beiden Daten decken sich und lassen die Vermutung zu, dass die Angabe des Herr Rudolf Sprenger, bezüglich des Datums des Unglücks falsch ist. (Zwischen dem Ereignis und seinen Aufzeichnungen vergingen immerhin ca. 70 Jahre).

Die Namen der verunglückten Jugendlichen fanden wir in einer Kopie des Sterbebuches der Pfarrkirche.
Am 11. oder 12. Juni 1855 sind dort nacheinander 13 Todesfälle von Jugendliche eingetragen, die nicht, wie üblich, von einer Totenfrau gemeldet wurden. Diese 13 Jugendlichen stammten alle aus ärmlichen Güstrower Verhältnissen. Sechs tödlich verunglückte Jungen waren Lehrlinge oder Handlanger bei verschiedenen Handwerkern. Die ertrunkenen 5 Mädchen waren zumeist Hausmädchen. Zwei Kinder gehörten einer Witwe.
Die Trauerfeier für alle Ertrunkenen wurde in der Pfarrkirche vor den 16 Särgen vom
Kirchenrat Loescher, unter Beteiligung aller Güstrower Pastoren, durchgeführt.

Die Güstrower nahmen sehr zahlreich am Trauergottesdienst für die Verunglückten teil.

In der „Güstrower Zeitung“ vom 11.06.1855 ff wurde sehr umfangreich und detailliert über das Unglück berichtet.

Hier fanden wir auch die restlichen Namen von zwei Verunglückten die nicht aus Güstrow stammten und die Namen der an einer Spendenaktion beteiligten Güstrower Bürger.

Die Spendenaktion wurde nach einem Aufruf der Güstrower Herren A. Vermehren, A. Türk, Fr. Löscher und
I. Tarnow durch den Kaufmann Strade und den Maler Weihnacht organisiert und öffentlich Rechenschaft über die Verwendung der eingegangenen milden Gaben gegeben.

Aus der Ausgabe der „Güstrower Zeitung“ vom 14.06.1855 konnten wir entnehmen, dass die Verunglückten in einer gemeinsamen Gruft auf dem Friedhof an der Rostocker Straße beerdigt wurden.

Der genaue Begräbnisplatz auf den Friedhof ist nicht bekannt, da die Beerdigungen von 1855 nur unvollständig in den Unterlagen nachweislich sind.

Der Stein unmittelbar am Ostufer des Parumer Sees ist kein Gedenkstein zur Erinnerung an das Unglück, sondern sehr wahrscheinlich ein Grenzstein, der die frühere westliche Stadtgrenze Güstrows markiert. Ähnliche Grenzsteine befinden sich in der Nähe des Grenzweges ab Schabernack in Richtung Osten (nachstehende Bilder)

Grenzstein am Parumer See

Grenzstein 1, Schabernack

Grenzstein 2, Schabernack

Grenzstein 3, Schabernack