10. Die alte Glocke von Heiliggeist in Güstrow (jetzt Norddeutsches Krippenmuseum) schlägt wieder

Als uns vor einigen Wochen Pastor Matthias Ortmann fragte, ob wir bereit wären, anlässlich der Wiederaufhängung und erneuten Weihe der Glocke in diesem, 1308 erstmalig als Hospitalstiftung erwähnten Gebäude, über die Geschichte dieser Glocke an dieser historischen Stelle zu berichten, zögerten wir nur kurz mit einer Zusage.

Wir fühlen uns hierzu nicht nur eingeladen, sondern gleichzeitig geehrt, in diesem stadtgeschichtlich bedeutenden Gebäude etwas über die Glocken der Güstrower Kirchen berichten zu dürfen, über die wir in den vergangenen drei Jahren manches in Erfahrung bringen konnten. Für die Möglichkeit hierzu danken wir herzlich.
Seit den Aufzeichnungen von Friedrich Schlie im Jahre 1901 (Kunst- und Geschichtsdenkmäler im  Großherzogthum Mecklenburg Schwerin Bd. IV, Schwerin 1901) wurde aus unverständlichen Gründen danach in keinem der uns bekannten Güstrower Kirchenführer, die ansonsten sehr detailliert über die zahlreichen und bedeutenden Kunstschätze der beiden großen Güstrower Kirchen berichten, in ähnlich ausführlicher Weise über die Glocken der Kirchen geschrieben, obwohl sie zu den ältesten Kulturgütern in Güstrow überhaupt gehörten. Wir erwähnen hier mit aller gebotenen Bescheidenheit, dass durch unsere stadtgeschichtlichen Aufzeichnungen über die Geläute der Pfarr- und Domkirche, den erzenen und ältesten Denkmalen über unseren Köpfen, hier in Güstrow inzwischen ein wenig mehr Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird.

Herr Claus Peter, Glockensachverständiger des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege und der evangelischen Kirche von Westfalen aus Hamm, der auch für den Oberkirchenrat in Schwerin arbeitet, hatte in dem Vorwort zu unseren beiden Glocken-Broschüren folgendes festgestellt:
(Zitat)  Bis heute gibt es keine umfassende und detaillierte Bestandsaufnahme der mecklenburgischen Glocken und eine Aufarbeitung der  Geschichte dieser wertvollen Denkmäler. Letzteres galt auch für die Güstrower Glocken im Dom und in der Pfarrkirche der bürgerlichen Stadt, Sankt Marien. So freut es mich besonders, dass die Glockengeschichte dieser beiden Kirchen in wesentlichen Zügen nun dargestellt werden kann.(Ende des Zitats).
Die beiden Broschüren wurden mit Hilfe des Sponsors Herrn Gerhard Schmidt (Gf. CEN) beiden Kirchen unentgeltlich zur Verfügung gestellt, um mit deren Verkauf die zu erzielenden Erlöse in die Renovierungsarbeiten am Borman-Altar und am Ulrich-Epitaph fließen zu lassen.

Wenn auch die allgemeine Bedeutung der Glocken für das kirchliche Leben bekannt sind, konnte die zum 700-jährigen Kirchenjubiläum der Pfarrkirche eingesetzte Arbeitsgruppe mit einer Studie über die Aufgaben der Türmer der Pfarrkirche die Bedeutung unterschiedlicher Glockentöne zur Warnung und zum Schutz der Güstrower Bürger herausfinden. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit großen Stadtbränden achteten frühere Generationen sehr auf die warnenden Glockentöne.

Über das beschwerliche Leben und die Aufgaben der Türmer der Güstrower Pfarrkirche Sankt Marien und deren Familien informiert eine aussagefähige Dokumentation in der Kirche und im Turm.

Wenn man über die Bedeutung und den Wert der Glocken für die Menschen spricht, muss man auch auf den riesigen Verlust an Glocken zu sprechen kommen, der durch die europäischen Kriege herbeigeführt wurde. Schon Napoleon ließ Glocken aus ganz Europa zu Kanonen umgießen.

150 000 europäische Glocken wurden im 1. und 2. Weltkrieg aus deutschen Kirchen und aus den Kirchen der durch Deutschland besetzten Länder entnommen, um ihr Metall fast vollständig als Kriegsmaterial zu verwenden.

Im 2. Weltkrieg verlor der damalige Kreis Güstrow allein 60 Glocken.


Das Geläut vom Dom wurde bereits 1917 durch die Abnahme einer Glocke und weiterer drei oder vier Glocken im Jahre 1943, bis auf eine Glocke aus dem Jahre 1617 dezimiert.

Die Pfarrkirche verlor 1942 insgesamt fünf oder sechs Glocken, darunter die drei großen Glocken aus dem Geläut zu vier Glocken. Im Turm verblieb die älteste Glocke im Kirchenkreis aus dem Jahre 1425.

Während die Domgemeinde 1964 eine Glocke des ehemaligen Geläutes der Rostocker Nikolaikirche erwerben konnte, die nach dem Kriege auf dem Hamburger Glockenfriedhof geborgen wurde, und 1990, unmittelbar vor der Vereinigung durch eine Spende von zwei Glocken eines ehemaligen Güstrower Bürgers das Geläut zu vier Glocken, wenn auch in anderer Klangfarbe, wieder herstellen konnte, befinden sich im Turm der Pfarrkirche, neben der ältesten Glocke im Kirchenkreis, noch die drei Glocken aus Eisenhartguss, die 1950 in der Apoldaer Glockengießerei Schilling & Lattermann gegossenen und 1951 von Landessuperintendent Sibrand Siegert geweiht wurden und deren ,,Lebensende" nun aus technischen Gründen naht.

Aus der jüngeren Geschichte ist uns bekannt, dass die Kirche der Heiligengeistgemeinde per Mietvertrag vom 25.03.1828 dem Landarbeitshaus Güstrow zum gottesdienstlichen Gebrauch überlassen wurde.

Frau Gisela Scheithauer schreibt in ihrem Buch „Ein festes Haus“, dass man bereits vier Tage nach Vertragsabschluss ans „Inventarisieren“ ging. Im Zuge der akribischen Auflistungen heißt es dort wörtlich „Nach Norden ist die elfstufige Treppe zum Chor, in deren Nähe das Seil zu der Glocke herunterhängt, womit zum Gottesdienst geläutet wurde“.

Hier haben wir einen konkreten Hinweis auf die Glocke, deren Geläut dann am 31.03.1942 per ministeriellen Runderlass zum Schweigen gebracht wurde.

Die Nazis untersagten hiermit allen Glaubensgemeinschaften in Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reichs, dazu gehörte seit dem 1. Weltkrieg die Güstrower Einrichtung des Landarbeitshauses, kirchliche Handlungen in ihren Räumen.
In den ersten Nachkriegsjahren hat die Glocke noch an gleicher Stelle Dienst getan. Zu welchem Zeitpunkt dann die Glocke in die Pfarrkirche kam, um dort verwahrt zu werden und in welcher Zeit sie im kirchlichen Altersheim „Abendfrieden“ läutete, ist noch nicht bekannt.

Angesichts der oben benannten nicht verwindbaren Verluste an Kirchenglocken, ist es daher ein besonders erhebender Augenblick, dass wir heute gemeinsam erleben können, wie die nach unseren Erkenntnissen zweitälteste Güstrower Glocke, die nach Ansicht des Glockenexperten Herrn Claus Peter aus Hamm, den wir um Rat durch Übersendung zahlreicher Fotos und des Glockengießerzeichens baten, zwischen 1451 und 1466 von dem mecklenburgischen Glockengießer Clawes Duncker für die Heiligen Geist Kapelle gegossen wurde, wieder an den ursprünglichen Ort in Ostgiebel dieser kleinen ehemaligen Kirche zurückkehrt und angeschlagen werden kann.

Arbeiten des  Glockengießers Clawes Duncker sind nach Auskunft der Glockenexperten Claus Peter nur in Mecklenburg zu finden. Die Glocke in der Kirche Mühl-Rosin wurde ebenfalls von Duncker gefertigt. Seine größte und schönste Glocke goss Clawes Duncker für die Kirche in Neukloster, wo sie noch heute läutet.

Die Gewissheit, dass diese kleine Bronzeglocke hier ihren ursprünglichen Platz hatte, verdanken wir den aufmerksamen Untersuchungen des Architekten Herrn Horst Schulz und des Berliner Bausachverständigen Herrn Dirk Schumann.
Ihrer Umsicht ist es zu danken, das damals bei der Renovierung von Heiligen Geist im Ostgiebel die Glockenluke wieder freigelegt werden konnte, in deren Laibung sie eindeutig die Lagerhölzer für eine Glocke fanden. Dieser wichtige Sachverhalt wurde bei den 1992 vorausgegangenen Sanierungsarbeiten am Ostgiebel übersehen. Die von Herrn Schulz vorgenommenen Nachforschungen über den Verbleib der zu dieser Lagerung gehörenden Glocke verliefen seinerzeit zunächst ohne Ergebnis. Erst als eine Glocke aus dem kirchlichen Altersheim „Haus Abendfrieden“, die einst von der Pfarrkirche dorthin ausgeliehen war, in die Obhut der Pfarrkirche zurückkehrte, wurde durch den Güstrower  Architekten Herrn Schulz vermutet und durch Messungen schließlich bestätigt, dass dies die Glocke von Heiliggeist sei. Ihre Wiederaufhängung an alter Stelle wurde vom Architekten Schulz vorangebracht.
Nun jedoch wirkt sich ein damals eingebrachter Stahlträger sehr nachteilig aus, da dieser ein Schwingen der wieder in die alte Lagerung eingefügten Glocke, technisch verhindert und sie nun nur durch einen magnetisch angetriebenen kleinen Hammer ertönen kann.

Es ist heute den vielen Spendern, im Besonderen jedoch Herrn Bürgermeister Arne Schuldt  zu danken, die mit persönlichen finanziellen Beiträgen den Einbau der Glocke durch den Glockenbauer Griefahn aus Greifswald ermöglichten.

Die alte schöne Glocke ist nun an ihre historisch verbürgte Stätte zurückgekehrt und wird dem Krippenmuseum zur Ehre gereichen und seinen vielen Gästen in dankbarer Erinnerung bleiben.

Dieter Köpien & Gernot Moeller